Die Dynamiken, die ich nachfolgend beschreibe, meine ich nicht verurteilend. Aus meiner Sicht ist es für jegliche Eltern im Alltagsgeschehen unmöglich, dem Nachwuchs einen ausreichend emotionalen Anker zu bieten. Vor allem, weil sie ihn selbst auch nicht erhalten haben.
Die emotionale Beziehung zwischen Säugling bzw. Kleinkind zu seiner Bezugsperson
In traditionellen Unternehmerfamilien sind Firmengeschehnisse Gesprächsstoff Nummer Eins. An 365 Tagen im Jahr auch sonntags und im Urlaub „sitzt die Forma mit am Esstisch“.
Das Unternehmen geht vor, vor dem Partner, vor den Kindern, oftmals vor dem eigenen Selbst.
Wenn dies der Fall ist, können Kinder die Bindung zwischen Ihren Eltern und Ihnen als unsicher empfinden. Im Zweifelsfall entscheiden die Eltern oder der Elternteil, der aktiv im Betrieb eingebunden ist, sich um Firmengeschehnisse zu kümmern. Kinder werden mit Ihren Anliegen übersehen, vertröstet oder ignoriert…und dies Jahr für Jahr.
Das Kind macht die Erfahrung, dass eigene Belange nicht willkommen sind. Als Säugling und Kleinkind ist man von der Sippe abhängig. Sie bietet Schutz, Fürsorge, Liebe und garantiert Überleben. Auch, wenn Eltern physisch anwesend sind, können sich Kinder allein gelassen fühlen, weil die Eltern emotional nicht zugängig sind. Bei den Kleinen bleibt ein unsicheres Gefühl zurück und ein Misstrauen, dass auch in Notfällen nicht auf die eigenen Eltern zu zählen ist.
Ein Kind, was so aufwächst, befindet sich im Überlebensstress. Folge dessen muss es sich selbst immer wieder in ein Gefühl der Nähe zu den Eltern bringen. Jedes Kind entwickelt dabei eigene Strategien. Manche richten die gesamte Energie auf die Bezugsperson, wollen diese ständig mit herausragenden Leistungen stolz machen oder sind stetig hilfsbereit, an- oder überanpasst. Andere fallen lieber negativ auf und rebellieren, Hauptsache Aufmerksamkeit bekommen.
Stellt das Kind somit scheinbare Nähe her, scheint es einen Platz in der Familie zu finden und fühlt sich in Sicherheit. Im Gegenzug kann es schwer eine eigene Identität, ein ICH- Gefühl bzw. Selbstbewusstsein entwickeln. Dies ist die Ausgangslage emotionaler Abhängigkeit.
Gestresste Eltern – bitte Rücksicht darauf nehmen
Eltern, die gestresst sind und für Ihre Arbeit leben, fühlen sich mit Ihren Aufgaben immer wieder überfordert. Ihre Energie reicht dauerhaft nicht aus, die Bedürfnisse des Nachwuchses adäquat zu nähren. Nonverbal oder verbal verlangen sie Gehorsamkeit, Unauffälligkeit von Ihren Kindern. Automatisch wird dem Kind, welches gelernt hat, brav zu sein und ja zu sagen mehr positive Aufmerksamkeit geschenkt als nein-Sager Kindern. Mit zunehmender Eltern- Überlastung steigt auch deren Bedürftigkeit. Weil sie es so schwer haben, vermitteln sie, dass sie zu bemitleiden sind und Rücksicht auf Ihre Belange genommen werden soll. Die Botschaft „Kind verhalte dich ruhig und belaste uns nicht“ schwingt dabei mit- eine Kunde, welche im Kind Schuldgefühle auslösen kann, sobald dieses die eigene Persönlichkeit ausleben will.
Damit Kindererziehung möglichst wenig Arbeit macht, wird der Tagesablauf der Sprösslinge organisiert oder sogar kontrolliert. Unvorhersehbares soll ausgeschlossen sein. Es darf nichts schief gehen, denn dafür ist keine Zeit. In manchen Fällen wird Kindern zu viel abverlangt, Ihnen werden auf ihrem Entwicklungsstand bezogen unangemessene Aufgaben übertragen. Andere Eltern nehmen Ihren Kindern zu viele Dinge zu schnell ab, die die Eigenständigkeit fördern würden. Somit bleiben die Schützlinge unter Ihren Möglichkeiten und bekommen kein Gefühl dafür, was sie selbst schaffen und nicht schaffen können.
Autonomie ade – die Tendenz zur „Verschmelzung“
In den Entwicklungsphasen, in der Kinder und später Jugendliche mehr und mehr autonom werden, eigene Interessen durchsetzen und auch mal Nein sagen möchten, werden sie ausgebremst, entmutigt und manchmal auch abgewertet. Autonomie ist für Eltern insbesondere für Führungspersönlichkeiten anstrengend und nicht erwünscht. Widerspruch wird meist unsachlich abgewehrt. Um in Verbundenheit mit den Bezugspersonen sein zu können, bleibt den Kindern nur die Möglichkeit den Ansichten der älteren Generation zuzustimmen. Die eigene Entscheidungskraft verschwindet dabei mehr oder weniger. Es entsteht eine Art Symbiose, eine Art Verschmelzung. Das Kind verschwindet im Elternteil, Grenzen und individuelle Räume verschwinden. Anders ausgedrückt, das Kind meint die Bedürfnisse, die Wünsche, die Ansichten des Vorbilds wären die eigenen. Sie verlieren den Bezug zu sich selbst und eigenen Gefühlen. Die fehlende gesunde Distanz führt zu gegenseitiger Abhängigkeit.
Rebelliert der Jugendliche nicht ausreichend in der Pubertät, wird eine gesunde Ablösung vom Elternhaus nicht vollzogen, Autonomie- Kompetenz wird unzureichend erlangt.
Mögliche Folgen für die Nachkommen sind:
- Ein nicht-förderliches Selbstbild, welches sich äußert in: sich nicht ausreichend gut, ausreichend wertvoll, sich nicht geliebt, nicht anerkannt, nicht gesehen, nicht gehört zu fühlen.
- Ungenügende Selbstwirksamkeit, welche Kinder grundlegend verunsichert: Selbstwirksamkeit bedeutet, eigenen Fähigkeiten zu vertrauen bzw. zu vertrauen, eine Handlung erfolgreich ausführen zu können. Dieses äußert sich in: sich Herausforderungen nicht zu stellen oder nicht durchzuziehen, eigene Bedürfnisse nicht zu kennen oder nicht zu bekunden, sich schwer zu positionieren, sich nicht behaupten zu können, nicht wirksam zu sein.
- Schuld und Schamgefühle: Das Verlangen sich für eigene Bedürfnisse, Wünsche, Ansichten einzusetzen, autonom zu werden oder sich von den Eltern abzugrenzen werden oftmals von unerträglichen Schuldgefühlen begleitet.
- Von einem Elternteil verbal oder nonverbal nicht erlaubte oder nicht zu getraute Ablösung führt zu einem geringen Selbstwertgefühl und zu einer größeren Anfälligkeit für Gruppendruck.
- Abhängigkeit anstatt Eigenständigkeit: abhängig von Anwesenheit, Unterstützung und Meinungen starker Persönlichkeiten, Unterordnung und übersteigertes „Anhimmeln“ zu Führungspersonen kann die Folge sein.
Nachfolger, Nachfolgerin gewünscht
Es kommt die Zeit, dass sich die ältere Unternehmer-Generation verbal oder nonverbal wünscht, ein Kind möge sie in Ihrem Familienunternehmen unterstützen. Mit einem jungen rebellischen Erwachsenen geht dies nicht lange gut. Leichter fällt es mit dem Kind, welches gelernt hat, um die Liebe und Anerkennung der Eltern zu bekommen, eigene Meinungen, Vorstellungen, Wünsche oder Bedürfnisse zu verleugnen und nicht zu äußern.
In den Worten Nachfolger, Nachfolgerin steckt bereits der Wunsch, dass jemand gesucht wird, der nachfolgt, sprich die gleiche Richtung beibehält.
Es wird keine neuartige Führungsperson gewünscht.
Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Mensch, welcher auf Verschmelzung geprägt ist, sich irgendwann zutraut, dass Familienunternehmen alleine zu führen, die alleinige Verantwortung zu tragen?
Führungseigenschaften bedingen ausreichend Selbstbewusstsein und das Vertrauen in eigene Selbstwirksamkeit und Autonomie.
Schafft der junge Erwachsene sich auch in der Firma nicht vor den Eltern zu behaupten und auf Augenhöhe anerkannt zu werden, kommt er später aus der Rolle des Kindseins in diesem Umfeld schwer raus.
Es ist auch unwahrscheinlich, dass nach weiteren 10, 15 Jahren der potentielle Nachfolger, die Nachfolgerin von den Eltern die Erlaubnis bekommt, eigene Werte, Überzeugungen und Ziele in der Firma verfolgen zu dürfen. Bis jetzt hat die Beziehung nur in der Rollenkonstellation Über- Unterordnung funktioniert. Ein Machtgefälle erkennt man u.a. an gegenseitigen Abwertungen, Respektverlust für den anderen, unterdrückte Wut, passive Aggression, Frustration, Lustlosigkeit, Ohnmacht. Eine solche Beziehung zu verlassen, gelingt meist nur mit enormer Überabgrenzung oder generell sozialen Rückzug.
Hilfreiche Ansätze zur Autonomieentwicklung
Der Weg zur Autonomie ist ein Prozess. Fähigkeiten, das Leben eigenständig zu gestalten, selbstständig eigene Werte, Überzeugungen und Ziele zu definieren und zu verfolgen, werden dabei entwickelt. Die Verantwortung zu tragen für das eigene Verhalten und dem Umgang mit eigenen Gefühlen ist ein weiterer Ansatz.
Mögliche Ansätze:
- Herausfinden Ihrer in der Kindheit erlernter Strategien, Ihrer biografischen Schutzprogramme
- Anpassen Ihrer Verhaltensmuster in Richtung einer gesunden Ich-Identität und Ihres Naturells.
- Wohlwollende Betrachtung Ihres Selbstbildes und gute Selbstfürsorge
- Selbstbild mit Leben und Vertrauen füllen, um sich aus dem eigenen Sein, wertvoll genug, stark genug, kompetent genug zu fühlen
- Üben von Selbstwirksamkeit, sich Herausforderungen stellen und durchhalten
- Sich abgrenzen lernen und dabei eigene Bedürfnisse herausfinden, ein Gefühl für das eigenen Selbst entwickeln
Ausklang
Um ein bisschen Leichtigkeit in das doch so gewaltige Thema zu bringen,
wünsche ich mir, dass Autonomiestreben der Nachkommen als Chance und Bereicherung gesehen werden, damit ein gemeinsames Miteinander der Generationen und verschiedener Menschentypen möglich ist.
Manchmal lässt sich für eine Partei nicht vermeiden, sich nicht nur emotional, sondern auch regional sich zu distanzieren, um aus der symbiotischen Verbindung herauszukommen. Aber gerade dies kann ein Grundstock für eine Zusammenarbeit in der Zukunft sein.
Hier schließe ich mit dem Lied „Father and Son“ von Cat Stevens
Übersetzung aus:
https://www.songtexte.com/uebersetzung/cat-stevens/father-and-son-deutsch-3bd6b074.html
(Vater)
Es ist nicht an der Zeit, was zu verändern.
Beruhig dich erst mal und mach langsam.
Du bist noch jung, das ist dein Problem, du musst noch so viel lernen.
Such dir ein Mädel, werde sesshaft, du kannst heiraten, wenn du willst –
schau mich an: ich bin alt, aber glücklich.
Ich war früher auch wie du und weiß deshalb, dass es nicht leicht ist,
stillzuhalten, wenn man merkt, dass sich was tut.
Aber lass dir Zeit, denk ausgiebig über alles nach,
denk an das, was du hast.
Denn morgen bist du auch noch da – deine Träume vielleicht nicht.
(Sohn)
Wie soll ich das nur erklären – sobald ich´s versuche, dreht er sich weg,
es ist immer dasselbe Lied.
Vom ersten Moment an, wo ich sprechen konnte, musste ich immer nur zuhören.
Aber jetzt sehe ich einen Weg für mich, und weiß, dass ich gehen muss.
(Vater)
Es ist nicht an der Zeit, etwas zu verändern.
Setz dich erst mal und lass es ruhig angehen.
Du bist noch jung, das ist dein Problem.
Du musst noch soviel durchmachen.
(Sohn)
Ich muss gehen – und diese Entscheidung muss ich allein treffen.
Die ganze Zeit über war ich traurig, habe meine ganzen Gedanken für mich behalten.
Es mag schwer für sie sein, aber für mich wäre es noch schwerer, das zu verdrängen.
Wenn sie Recht hätten, würde ich ja ihnen zustimmen, aber sie wissen doch überhaupt nichts von mir.
Ich sehe jetzt einen Weg für mich, und weiß, dass ich gehen muss.
(Vater)
Bleib doch, bleib – warum musst du gehen und diese Entscheidung allein treffen?